Montag, 30. März 2020

Hoflieferanten-Orgeln des Herzogs von Anhalt-Zerbst

Nachdem im Jahr 1883 Wilhelm Rühlmann zum "Hoflieferanten" des Herzogs von Anhalt(Zerbst) ernannt wurde forderten die kleinen Landgemeinden, welche alle ihre, wenn überhaupt vorhanden Kapellen, durch kleine aber repräsentative Neubauten an Kirchgebäuden ersetzten, neue Instrumente, klangvoll und raumgreifend. Dem Zeitgeschmack entsprechend- auf technisch höchsten Stand. Warum nicht bei dem neuen Hoflieferanten des Landesvaters anfragen.
1881 goldene Medaille Industrieaustellung Halle

Rückseite der Medaille Halle,1881
Er lieferte mit seiner rapide wachsenden OrgelbauAnstalt ausgezeichnete Instrumente die durch Güte der Arbeit, des ausgewählten Materials und natürlich mit einem rund fülligen prächtigen Klang bestechen.
Es folgen Dörfer um die Stadt Zerbst, diese Instrumente sind alle sehr klein, genauso wie die Kirchen und die Gemeinden vorort, aber jedes Dorf wollte eine eigene Andachtsstätte und diese sollte schön und repräsentativ sein! Diese Instrumente wurden alle vor der Jahrhundertwende in das Herzogtum Anhalt geliefert und entstammen der mechanischen und frühpneumatischen Zeit bei Rühlmann.
Alle Orte sind versteckt und so klein und unbekannt das man echt suchen muß. Wir fangen an mit der Orgel für BONE erbaut im Jahr 1882 als opus 42. auf mechanischen Schleifladen stehen mixturlos 6 Register.
Bone  -  Orgel seitenspielig
In der romanischen Feldsteinkirche die damals saniert wurde, fügt sich das Instrument mit seinen typisch und einfachen Formen schlicht ein. Es ist seitenspielig, funktioniert tadellos und hat eine kraftvolle herbe Klangsprache.
mechanischer Spielschrank
Im nicht weit enfernten BONITZ wurde im selben Jahr eine Kirche mit Kreuzförmigen Grundriss aus Backstein erbaut.
Orgel in Bonitz, Positiv mit angehängtem Pedal.
ein kleines, pedalstimmenloses Instrument ähnlich einem Positiv mit angehängtem Pedal wurde installiert als opus 44 im Jahr 1882. Diese kleine Orgel fristet ein Schattendasein, ist ungepflegt, wird selten gespielt, funktioniert aber wenn man sie streichelt und klingt nach dem Erbauer...kräftig herb-mit nur 4 Stimmen-diese in sehr differenzierter Weise. Unser Weg führt weiter nach BORNUM -hier steht opus 81 aus dem Jahr 1886.
Bornum
Mit oft verwendeten neogotischem Gehäuseformen, schlicht und einfach fügt sie sich in den damals neuen Kirchenraum ein. 1963 wurde sie sogar umdisponiert - das Ergebnis kann sich aber dennoch hören lassen, obwohl diese Maßnahme nicht nötig war. (siehe Werben op.25) Sehr gepflegt und gut spielbar, zeigt das Instrument was es kann-nun mit neobarocker Disposition-allen Streichern beraubt! Die Spielfreude springt trotzdem auf den Spielenden über.
Spielschrank in Bornum, man erkennt die umdisponierten Registerzüge
Die Qualität der Gesamtanlage überzeugt ganz einfach. Im kleinen Ort LUSO , die Kirche ist die "Gesangbuchkirche" eine Masse an Gesangbüchern aus allen Zeiten ist hier versammelt, kommt die nächste Orgel von Rühlmann zu stehen. Opus 110 aus dem Jahr 1890! Eines der ersten pneumatischen Instrumente (ab op.85 wurde pneumatisch gebaut) auf der damals neuen Kastenlade kommen auch nur wenige Manualregister zum klingen. Der Subbass 16' steht auf seiner eigenen Lade.
Luso
Im einfachen neoromanischem Gehäuse mit 3 Flachfeldern mit Rundbögen besticht auch dieses Intrument-es sei denn man hat jemanden der Wind schöpft- mit einer prächtigen 8 Fuß Basis, kraftvoll und raumfüllend. Der Spieltisch hat runde Wangen und ist mit einem Rolldeckel verschlossen (op.106 - Schwemsal bei Bad Düben ist fast baugleich und soll restauriert werden)
Spieltisch in frühpneumatischer Ausführung und Rolldeckel
Hier kommt die frühe Pneumatik und die Kastenlade in der Variante I zur Nutzung. (Abstrompneumatik bis zum Spieltisch) Diese kleine Orgel lässt sich hervorragend spielen und ist präzise und dabei geräuscharm und pneumatisch-ein einmaliges Spielgefühl. Wir fahren einen Bogen und landen in JÜTRICHAU zwischen Zerbst und Dessau gelegen. Auch hier eine neue Kirche mit neuem Instrument.
Jütrichau, kleine Dorforgel
Gewartet, spielfähig, freundlich und freut sich das sie benutzt wird-auch wenn sie nur ganz klein ist. Ein einfaches Holzsichtiges Gehäuse im Neoromanischem Stil, dahinter auf pneumatischen Kastenladen der Version I - 4 Manual und 1 Pedalregister. Tadelloser Anschlag und Repetition zeugen davon, das die Pneumatik bei diesen ersten Instrumenten schon total ausgereift war.
Original erhaltene Kalkantenglocke in Jütrichau
Es macht einfach Spass und Freude auf den kleinen Instrumenten zu spielen, auch wenn man eingeschränkt ist. Wir nähern uns der Elbe bei Aken, der nächste Ort ist BIAS - hier steht opus 160 aus dem Jahr 1894!
Bias, Orgel im Kirchenraum
Die Kirche wirkt schon etwas größer, auch das Instrument, welches original erhalten ist wurde größer disponiert. Kraftvoller Orgelton im Raum, dazu eine Rauschquinte 2fach die über den 8' Füßen strahlt, der Salicional ersetzt die etwas stärkere Gambe und bringt Farbe in die wenigen Register. Auch diese Orgel ist top gepflegt und möchte gespielt werden.
Spieltisch in Bias
Auch hier pneumatische Kastenlade nach Version I. Funktioniert und repetiert tadellos! Herrlichste Klänge aus den kleinsten Instrumenten-das zeigt diese Auswahl aus kleinsten Orgeln.
Auslassventile und Hilfsmembranen der Kastenlade Version I in Bias
Am Schluß der Orgelfahrt kommen wir nocheimal zurück zu einem frühen pneumatischem Opus , der 119ten Orgel aus dem Jahr 1891 am Elbübergang nach Aken, in Steutz! Steutz hat eine herrliche romanische Kirche die damals erweitert wurde und auch eine großzügige neue Orgel wurde hier installiert.
Steutz/Elbe, größere Dorforgel
Auf II Manualen stehen absolut klangschön zueinander die schönsten Register zur Verfügung. Gamba 8' krächst auf I ordentlich, das Salicional 8' auf II ist fast gleichstark nur anderer Intensität. Die Principale auf I und II korrespondieren miteinander und ergänzen sich, der Geigenprincipal 8' (II) hat Kraft und Würde im Ton. Die Mixtur 3 -4 fach ist mild gehalten, sie rundet das Klangspektrum ab ohne zu schreien hat aber auch Kraft und Gravität, zu dieser Zeit wurde die Mixtur als 2' und 2-2/3' gebaut, Sie strahlt noch regelrecht...später um 1910 wurden bei kleinen Orgeln Mixturen mit 5-1/3' eingesetzt, diese klingen dramatisch im Klang-sie nehmen Bezug auf den Bordun16' und spielen sich als Zeuger des Vollen Werkes auf-man denkt man hat eine Kathedralorgel vor sich und es sind vielleicht nur 12 Register  -das sollte damit erzeugt werden, die schönsten differenzierten Stimmen in 8' und darauf das volle Programm- Oktave 4' und Mixtur 4 fach 5-1/3'.
Spieltisch in Steutz
Aber hier in Steutz ist noch die strahlende milde Variante zu hören., auf pneumatischen Kastenladen der ersten Generation, tadellos funktionierend, lediglich wird die Orgel zu wenig gespielt-es hängen ein paar Töne, aber durch clustern* und die daraus entstehenden Luftschwankungen stellen sich diese wieder ein, ein tolles Instrument mit herrlichsten orchestralen Klängen!
frühe Pneumatik in Steutz. (überarbeitet)

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